»Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den Andern, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.«
Christian Morgenstern
Im Alltag des Coachings ist es immer wieder erstaunlich, wie oft das Thema Kritik thematisiert wird. Fehlendes Gespür für die Äußerung von Kritik, der hilflose Umgang des Kritisierten damit und daraus resultierende Missverständnisse sind oft Anlass für ernsthafte Probleme für meine Coachees.
Beides hängt auch oft zusammen - wenn jemand nie gelernt hat, selbst konstruktiv zu kritisieren, ist auch oft nicht in der Lage, Kritik produktiv einzuordnen. Und umgekehrt.
Und viel zu häufig – oft noch häufiger als der eben beschriebene Fall - üben die Menschen in einem Unternehmen aus unterschiedlichsten Gründen auch gar keine Kritik. Und das ist im Sinne eines Employee Engagements noch viel fataler. Mitarbeiter wie Führungskräfte (beide sollten kritisieren und kritisiert werden können) fühlen sich nicht gesehen, sind orientierungslos und haben in aller Regel keinen Maßstab, an dem sie wachsen und gedeihen können. Sie fühlen sich alleingelassen und nicht gefördert. Und beide – Führungskräfte wie Mitarbeiter – können ein falsches Selbstbild entwickeln, das zu dem Bild, das sich ihre Kollegen von ihnen gebildet haben, deutlich unterscheidet. Das bedeutet erneut viel Konfliktpotential.
Um was geht es bei der Kritik als solches?
Das Wort »Kritik« wird leider oft recht missverstanden und mit negativen Inhalten konnotiert, was auch die Angst vor Kritik befeuert.
Kritik ist jedoch erst einmal in ihrer ursprünglichen Definition grundsätzlich ein neutraler Vorgang! Kritik ist eine Bewertung anhand von definierten Maßstäben, um Orientierung zu schaffen, und diese Bewertung kann positiv wie negativ ausfallen. Ohne Kritik, in der Systemtheorie eigentlich nichts anderes als der neutrale Austausch von Daten und Informationen, findet der Mensch keinen Weg, seine Handlung oder Gegenstand zu verbessern, kann sich nicht weiterentwickeln, nicht lernen, keine Aufgaben sinnvoll erfüllen oder sich innerhalb eines sozialen Systems einordnen.
Kritik oder Feedback?
Man könnte jetzt sagen, dass ich hier nicht von Kritik rede, sondern eben Feedback beschrieben habe. Und man hat damit bedingt recht.
Schaut man sich im Internet hinsichtlich des Unterschiedes zwischen Kritik und Feedback um, merkt man, wie die meisten Autoren schwimmen, mühsame Wortkonstrukte erschaffen, um das eine vom Anderen zu trennen und nur mit anderen Worten dasselbe beschreiben. Weil es das in der ursprünglichen Wortbedeutung auch ist.
Die Unterscheidung zwischen beiden Worten ist rein emotional gefärbt.
In der Alltagssprache ist Kritik unterschieden vom Feedback, denn das Wort Kritik wird oft als härter und negativer empfunden, bei Kritik erwartet man im Ernstfall negative Konsequenzen, die Bewertung ist endgültiger und in aller Regel wird damit auch fehlende Augenhöhe der Beteiligten assoziiert. Feedback wird jedoch, obwohl damit Kritik in ihrer ursprünglichen Bedeutung gemeint ist, als ein eher weicher Begriff empfunden. Eine harte Linie, deren Überschreitung unmittelbare Konsequenzen erwarten lässt, wird hier selten kommuniziert. Hier wird eher ein wertschätzender Austausch von Informationen auf Augenhöhe gemeint und es ist eine Veränderung, an der alle beteiligt sind, nicht nur der Bewertungsempfänger, gewollt.
Beide Begriffe beschreiben aber dasselbe: ein Mittel, Missstände konstruktiv aufzuzeigen und zu bewerten, um zu einer Änderung zu motivieren. Also einen negativen Zustand zu einem positiven zu verwandeln. Es wäre aber aufgrund des allgemeinen Sprachgebrauchs trotzdem klüger, im Unternehmenskontext das Wort Feedback aufgrund seiner positiveren Zuordnung mehrheitlich zu verwenden.
Kritik als Führungsaufgabe
Kritik oder Feedback gehört damit zu den wichtigsten Aufgaben in Arbeitsverhältnissen, wird aber viel zu wenig als wichtige Methode anerkannt. Das ist schade, denn diese Rückmeldung ist grundsätzlich positiv zu deuten: Sie zeigen dem Mitarbeiter nämlich, dass die Führungskraft ihn wahrnimmt und auch, wie sie ihn wahrnimmt. Das hilft Mitarbeitern, das Selbstbild, das er oder sie von sich hat, mit dem Fremdbild – also dem Bild, dass die Führungskraft vom Mitarbeiter hat – abzugleichen.
Erfolg ist immer das Ergebnis von Erfahrung, die durch Versuch, Gelingen, Fehler und Irrtum entwickelt wird. Und Kritik – positiv wie negativ - ist der wichtigste Helfer in dieser Entwicklung! Und es ist originäre Aufgabe von Frührungskräften, ihre Mitarbeiter und damit das Unternehmen maximal weiterzuentwickeln.
Kritik als Waffe
Gleichzeitig gehört Kritik zu den Mitteln, die oft furchtbar missbraucht werden. Menschen lieben es in aller Regel zu kritisieren. Denn zu kritisieren kann auch bedeuten, sich einen höheren Stellenwert zuzuschreiben und den des Kritisierten zu senken. Ich behaupte einfach mal, dass ein Großteil der geäußerten Kritik in Unternehmen schlicht und einfach in erster Linie dazu dient, sich zu erhöhen - und eine Veränderung ist dabei ja nicht gewollt. Würde sich der Kritisierte gemäß dem Wunsch des Kritisierenden verändern, hätte man ja kein wunderbares Machtwerkzeug, um Mitmenschen mal richtig eins überzubraten und seine eigene Position zu verbessern und seine Daseinsberechtigung zu unterstreichen. Somit kann Kritik im schlimmsten Szenario auch zu Mobbing werden.
Kritik und Hilflosigkeit
Manchmal hassen Menschen es aber auch zu kritisieren oder kritisiert zu werden, weil sie es nicht können bzw. diese annehmen gelernt zu haben. Sie haben einerseits Angst, dass ihre Kritik genau das Gegenteil bewirkt, beklagen vermeintlich negativere Einstellung, sinkende Motivation und damit den Verlust von Einfluss, andererseits fürchten sich Kritisierte vor negativen Konsequenzen und der Verurteilung ihrer Person.
Oder beide Seiten fürchten schlicht und einfach den Verlust von Zuneigung.
Denn oft genug wird es dann emotional und damit unproduktiv. Im Pingpong der Gefühle ist es fast die Regel, dass Kritik - eigentlich gemeint als ein sinnvoller, sachlich gemeinter Vorschlag - unglücklich formuliert und aufgenommen wird. Und damit Reaktionen provoziert, die wiederum Anlass zur (unsachlichen) Kritik geben – und schon ist man in einer belastenden, automatischen Schleife aus Angriff und Gegenangriff gefangen, die die Hilflosigkeit der Beteiligten gnadenlos offenbart. Und die Coaches so lieben, aufzulösen.
Wie also kritisieren?
Was kann man also tun, um Kritik so anzubringen, dass sie positiv wirkt und wirklich nutzt?
- Seien Sie präzise!
Man sollte den Gegenstand der Kritik genau benennen, eine konkrete Schwäche oder Zustand genau definieren - pauschalisieren Sie nicht. Nullinformationen, wie zum Beispiel, dass man „etwas“ falsch gemacht hat, wirken eher als persönlicher Angriff und nicht als nützliche Information. Seien Sie genau in der Beschreibung, bieten Sie aussagekräftige Beispiele zur Verdeutlichung des Problems, was zu verbessern ist und formulieren Sie in Ich-Botschaften. Seien Sie nicht schwammig und reden Sie nicht um den heißen Brei herum. Das mag keiner und bietet keinen Weg zur Lösung des Problems.
- Bieten Sie einen Lösungsweg an!
Kritik muss mit seinen Informationen eine Tür für neue Möglichkeiten und Alternativen aufstoßen. Präzise formuliert und mit Hinweisen garniert, wo denn die Probleme liegen und wie sie gelöst werden können, können beim Gegenüber durchaus motivierend wirken und ein Umdenken und eine veränderte Haltung und Handlung bewirken. Und den Kritisierten sich trotzdem dabei gut fühlen lassen. Aber wenn Sie wollen, dass Ihr Gegenüber wieder scheitert, müssten Sie einfach die mentale Tür zuhauen. Dazu eignen sich Sätze wie „Das ist Mist. Morgen will ich eine Lösung auf dem Tisch haben!“ Das demoralisiert ordentlich. Aber das wollen Sie nicht, oder?
- Seien Sie präsent!
Von Angesicht zu Angesicht geäußert ist Kritik – wie auch Lob – am wirksamsten. Unpersönlich ausgesprochene Kritik, wie zum Beispiel durch Email oder eine andere Form der Textnachricht, lässt Raum für Interpretationen und nimmt die Möglichkeit zu einer sinnvollen Antwort oder Klärung. Denn es fehlen auf beiden Seiten die unterschwelligen Kommunikationsebenen wie Stimmung, Sprachfärbung, Haltung, Sensibilität und Empathie.
- Seien Sie also auch empathisch!
Kritik ist immer eine Bewertung und diese geht unweigerlich mit Gefühlen einher!
Stellen Sie sich auf Ihr Gegenüber ein und versetzen Sie sich in seine Lage. Wie würden Sie am liebsten kritisiert werden? Halten Sie kurz inne, wenn Sie der Ärger oder der Drang, zu kritisieren, übermannen droht und bleiben Sie gelassen. Überlegen Sie sich genau wie Sie etwas sagen und versetzen Sie sich in eine wertschätzende, respektvoll geprägte Haltung und Stimmung dem Objekt der Kritik und dem Menschen gegenüber, der sie aufnehmen muss. Fehlende Empathie sorgt für Verletzungen und Missverständnisse durch persönliche Herabsetzung. Beste Voraussetzungen für massive Konflikte.
Offenheit und Vertrauen sind wertvolle Begleiter in der Führung und im Miteinander. Wenn Sie hier also noch unsicher sind oder entsprechende Signale empfangen, reden Sie offen über Ihre Befürchtungen, dass Ihre Kritik zu persönlich genommen werden könnte und damit ihre Wirkung verfehlt. Zeigen Sie Ihrem Gegenüber, dass Sie Vertrauen in seine Fähigkeiten haben, bieten Sie an, die Kritik in Achtsamkeit wirken und setzen zu lassen, den Impuls des spontanen Widerstandes – sofern er eintritt - zu analysieren und über Ihre Kritik in Ruhe nachzudenken. Und später noch einmal auf Sie zurückzukommen.
Und wie nehme ich Kritik an?
Mit derselben Einstellung, mit der Sie Kritik geben: ehrlich, wertschätzend und vertrauend
- Hören Sie aktiv zu
Wenden Sie sich ganz dem Gegenüber zu, und ohne sich zu rechtfertigen und ohne sich zu verteidigen und lassen Sie ihn ausreden. Damit stellen Sie Augenhöhe her. Wiederholen Sie das Gesagte in Ihren Worten, um klarzustellen, dass Sie zuhören, verstanden haben und bereit sind, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und dieses anzunehmen. Bitten Sie jedoch bei Unklarheiten um eine genauere Erklärung!
- Fassen Sie die Kritik zusammen, was bei Ihnen wie ankommt
Seien Sie dabei auch ehrlich – es geht nicht nur um den Inhalt, sondern auch um ihre Gefühle dabei. Erläutern Sie, in welchem Kontext sie diese Kritik sehen, erläutern Sie Ihre Gefühle und welche Bedürfnisse durch diese Gefühle signalisiert werden. Das können Ängste sein, die nach Sicherheiten suchen, Ärger, der vielleicht auf ein Bedürfnis nach Gerechtigkeit hinweist oder auch Traurigkeit über das Gesagte, das auf Enttäuschung und Verlust hindeutet. Sie dürfen aber auch Zufriedenheit udn Freude mitteilen. Das hilft ihrem Gegenüber, einzuordnen, wie seine Kritik angekommen ist und ob sie auf fruchtbaren Boden fällt.
- Bedanken Sie sich für die ehrliche Rückmeldung
Egal, wie Sie die Kritik bewerten: sie ist immer eine Brücke zu persönlicher Entwicklung, sie hilft Ihnen zu wachsen und neue Bereiche zur Veränderung zu entdecken. Das ist ein wunderbares Geschenk, für das Sie sich auch bedanken dürfen. Sie stellen damit weiter die Augenhöhe zu Ihrem Gegenüber her, weil Sie Wertschätzung mit Wertschätzung beantworten!
- Feedback bezieht sich auf ein Verhalten, nicht auf Sie als Person
Negative Kritik ist – sofern sie wie oben beschrieben geäußert wird - keine Beleidigung und soll sie als Person, der Sie sind nicht abwerten oder gar angreifen, sondern lediglich ein Veränderungsvorschlag für ein Verhalten Ihrerseits sein. Wenn Sie Kritik persönlich nehmen, wurde damit eine Verletzung offenbart, die ihr Gegenüber vielleicht gar nicht kennt und es somit auch nicht absichtlich darauf angelegt hat, sie weiter zu verletzen. Spüren Sie eine solch persönliche Ebene, sprechen Sie diese wie gesagt an. Dann werden solche Gespräche wieder schnell in ruhige Fahrwasser geraten.
Bedenken Sie immer: Kritik beziehungsweise Feedback geben und bekommen ist ein Prozess, der nicht immer glatt läuft und auf beiden Seiten auch der Übung bedarf. Halten Sie also erst einmal inne und trinken Sie eine Tasse Tee, bevor Sie in in Ruhe diesen Prozess einsteigen. Das schafft Gelassenheit!
Karl Michael Schölz