Es wird endlich Zeit aufzuwachen!

Es wird Zeit, endlich aufzuwachen!

Die wirklich anstrengende Zeit der Pandemie, die uns auch wieder im zweiten Jahr in Kombination mit der kalten, dunklen Jahreszeit begleitet, macht immer mehr Menschen so unglaublich müde, einsam und lustlos. Ich merke das an meinen Klienten: sie berichten von ihrer Mühsal, dem Unvermögen sich aufzuraffen und in der Arbeit maximale Leistung zu bieten. 

Es ist erschreckend. Noch nie habe ich in so vielen Gesprächen gehört, dass nach dem Weihnachtspause die Unlust, wieder zurück in den Job zu gehen, so groß war. Es wird über massive Müdigkeit geklagt. Körperlich und geistig. Es ist zunächst nur schwer erklärlich, weil man eigentlich meint, dass nach einer Zeit der Erholung der Energielevel wieder steigen sollte.

Und es passt so gar nicht in die derzeit moderne dynamisch-hippe mediale und politische Überhöhungskultur, wo sich die, die es „geschafft“ haben, sich mit voller Energie präsentieren und sich einer treuen Fangemeinde sicher sein können; Businessinfluencer uns weismachen wollen, mit der richtigen Einstellung kann man alles schaffen und die in jeder Krise ein Chance sehen; die zudem die mit jeder Krise einhergehende psychische Belastung als nichtexistent wegwischen. Das ist an Oberflächlichkeit kaum noch zu überbieten und eigentlich nur noch als Unverantwortlich zu bezeichnen.

Ich spüre das und verstehe meine Klienten umso mehr in ihrem Leid. Ihr Leid passt so gar nicht in dieses Anforderungsprofil eines erfolgreichen Unternehmers oder Arbeitsnehmers, der sich eigentlich glücklich schätzen könnte. Aber Menschen spüren schnell die Leere, wenn Sie nur über Erfolg definiert werden. Es kommen eben verschiedene Faktoren zusammen, die eben den Menschen so intensiv beeinflussen und die Gefahr erhöhen, in depressive Stimmungen bis hin in eine ausgewachsene Depression zu verfallen. Und die sind heute akuter denn je:

Da ist einerseits die ständige Bombardierung mit schlechten Nachrichten. Natürlich: schlechte Nachrichten wurden schon vorher bekanntgegeben und verbreitet. Medien leben davon, dass Menschen auf schlechte Nachrichten wie auf eine direkte Bedrohung reagieren und dadurch die Aufmerksamkeit und damit das Geschäft angeregt wird. Aber diesmal ist es anders: seit nun zwei Jahren werden wir mit wechselnder Intensität von verschiedenen Institutionen ständig gewarnt, ermahnt und alarmiert. Die Bedrohungslage und damit unser Stresslevel wird in diesen zwei Jahren ständig auf hohem Niveau aufrechterhalten, ohne dass sich grundlegend etwas ändert. Und das kostet massiv Energie auf geistiger, seelischer und körperlicher Ebene. Energie, die nun bei so vielen Menschen zu erschöpfen droht.

Daneben sorgt diese Situation mit ihren sozialen und kulturellen Einschränkungen für soziale Kälte. Unbeschwerte Treffen sind kaum mehr möglich, aus einer Physical Distance wird Social Distance. Ständig ist man sich unsicher: tut man jetzt etwas Verbotenes, wenn man sich mit Menschen trifft? Ist es überhaupt zu verantworten, sich zu treffen, ist es gar gesundheitsschädlich? Und auch in der Arbeit ist soziales Leben kaum mehr uneingeschränkt machbar. Hier können Menschen kaum mehr Energie tanken und sich gegenseitig stützen.

Dann kommt als Tüpfelchen auf dem "i" diese Jahreszeit. Viele Menschen reagieren sensibel auf den Winter. Seasonal Affective Disorder (SAD) ist eine Art von Depression, die mit den Jahreszeiten einhergeht, diese wird bei vielen Menschen im Winter durch das mangelnde Sonnenlicht und die Kälte ausgelöst. Mangelhafte Lichtverhältnisse bringen die innere Uhr durcheinander, Melatonin wird vermehrt ausgeschüttet und der Vitamin D-Spiegel sinkt, die Kälte kostet viel Energie und wird vom Köper als zusätzliche Bedrohung und als ermüdend registriert.

All das kann zu einer depressiven Stimmung, ja sogar zu einer ausgewachsenen Depression führen. Depressionen entwickeln sich natürlich auch aus anderen Gründen. Aber seit langer Zeit ist die Gefahr einer massiven und flächendeckenden Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes der Menschen selten so groß gewesen wie jetzt.

Wir steuern auf ein massives Problem zu - es wird endlich Zeit aufzuwachen!

Selten war es so notwendig, so vielen Menschen Verständnis, Mitgefühl und bestmögliche psychologische Unterstützung anzubieten. Psychische Probleme erfordern Verständnis und liebevolle Zuwendung! Aber vielen Unternehmen – und nicht nur dort – fehlt Verständnis für diese Nöte und ein Ansatz, wie sie mit der Notwendigkeit einer psychologischen Betreuung für die Arbeitnehmenden umgehen sollen. Psychische Probleme werden nicht ernstgenommen, oft viel zu spät erkannt; Frühwarnsysteme existieren nicht. Im Grunde ist jeder auf sich selbst gestellt. Und dann kommen Scham- und Schuldgefühle, falsch verstandener Stolz und die immer noch vorherrschende widerliche Kultur der eigenen Ausbeutung der geistigen, körperlichen und seelischen Substanz als Merkmal der Überlegenheit und Leistungsfähigkeit auf. Sie verhindern einen unvoreingenommenen, liebevollen und achtsamen Umgang mit sich selbst und den eigenen Ressourcen.

Was ist also zu tun? Die Herausforderung ist riesig, für Menschen und Unternehmen. Einerseits ist jeder aufgefordert, seine Verantwortung für das Wohlergehen jedes Menschen wahrzunehmen und Menschen mit psychischen Problemen aktiv zu helfen. Andererseits sind allgemein Strategien und Schulungen zur Steigerung eigenen Wahrnehmung, der Resilienz und des achtsamen Umgangs mit sich selber notwendig – und vielleicht sollte man da schon in der Schule anfangen. Schulen, Unternehmen und deren Führungskräfte und Pädagogen stehen in der Pflicht, ein sicheres und positives Arbeitsumfeld zu schaffen, eine gewisse Sensibilität für Menschen zu entwickeln und ein System zu installieren, das es erlaubt, frühzeitig auf Stimmungen Einzelner oder Gruppendynamiken zu reagieren. Es ist ein Umdenken notwendig. Bei uns allen! 

Und wenn Sie selbst zu kämpfen haben, bitte seien Sie sich bewusst: es ist absolut in Ordnung, Probleme zu haben! Einfach alleine deshalb, weil Sie ein Mensch mit Gefühlen, Bedürfnissen und Seele sind. Und es ist in Ordnung, sich Hilfe zu holen, sei es für sich selber oder für jemanden anderes. Das zeugt von Stärke und Mut und ist der erste Schritt in ein entspannteres Sein. 

Karl Michael Schölz

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