Lass es fließen!

Lass es fließen!

Als ich vor vielen Jahren meinen Wehrdienst ableisten sollte - der damals Pflicht für jeden jungen erwachsenen Mann in Deutschland war - wehrte ich mich mit Händen und Füßen dagegen. Ich wollte nicht eingezogen werden, weil die Art dieses Dienstes in meinen Augen reine Zeitverschwendung und sinnlos war.

Aber ich wollte auch keinen Zivildienst leisten, der ein halbes Jahr länger gedauert und bedeutet hätte, dass ich zwei Jahre länger warten hätte müssen, bis ich mein Studium beginnen kann. Mit dem Wehrdienst wäre es nur ein Jahr gewesen.

Ich war in einer echten Zwickmühle. Da ich damals an einer schweren Herzerkrankung litt, versuchte ich den Wehrdienst über ein entsprechendes Gutachten und Attest zu umgehen. Aber es war wie verhext. Den medizinischen Unterlagen wurde nicht geglaubt und ich wurde zu einem Psychologen geschickt, der prüfen sollte, ob ich mir meine Erkrankung nur einbilde. Trotz Nachweisen. Wie verzweifelt die Bundeswehr gewesen sein muss, Rekruten zu finden... und ich war es auch, Ich war wütend und verletzt. Ich fühlte mich hilflos diesem System ausgeliefert, ich wurde als Simulant bezeichnet, alle meine Bemühungen liefen ins Leere. Und bekam dann den Einberufungsbefehl.

Bei einem Besuch bei meinen Großeltern schüttete ich meinem Großvater mein Herz aus und schilderte ihm mein Bemühen, meinen Kampf gegen diese Windmühlenräder der Bürokratie und den Unwillen, mir zu glauben. Mein Großvater sah mich aus seinem Sessel sitzend liebevoll an, schmunzelte und sagte: 

"Manchmal geschehen Dinge einfach. Lass sie geschehen, wehre Dich nicht, Michael. Lass es fließen und warte ab, was passiert. Vielleicht erwächst ja etwas Gutes daraus."

Ich hatte eigentlich erwartet, dass er mich bemitleidet und mich in meinem Kampf bestärkte und es tapfer von mir fand, dass ich mich so wehrte. Stattdessen riet er mir... zum Aufgeben? Nein. Zum Loslassen. Er gab mir die Erlaubnis loszulassen und frei zu sein.

Ich trat also meinen Dienst an. Nach einer Woche musste ich zum Stabsarzt, weil ich Halsweh hatte und ein längerer Marsch bevorstand. Der Stabsarzt kramte meine Akte hervor, las und runzelte die Stirn. Anschließend schickte er mich nach Hause - ich war KZH (Krank zu Hause). Vier Wochen später wurde ich aus der Bundeswehr verabschiedet und konnte mein Praktikum für mein Studium beginnen. Ich war glücklich, etwas Sinnvolles mit meinem Leben anzufangen und nicht ein Jahr in der Kaserne zu versauern.

Was war passiert? Ganz einfach: mein Stabsarzt hat genau das Herzleiden, an dem ich litt, in seiner Promotion untersucht. Er wusste genau, wie es um meine Gesundheit stand und schickte mich mit den Worten "Die Bundeswehr hat kein Interesse daran, in der Bild-Zeitung zu stehen." nach Hause. Vielleicht etwas rüde ausgedrückt, aber mir war es egal. 

Zufall? Ich glaube nicht. In dem Moment, wo ich losließ gab ich mir die Möglichkeit, mich anzupassen, Energie zu sparen und Neues anzunehmen. Damit durfte ich auch positive Aspekte anerkennen und gewann Vertrauen in mein Handeln und meine Zukunft. Ich bekam auf eine ganz natürliche Art und Weise die Kontrolle über mein Leben wieder und Menschen wie dieser Stabsarzt konnten in mein Leben treten.

Ich denke noch heute liebevoll an diese Situation und meinen Großvater, wie er vor mir saß. Er hat mir eine wichtige Lektion, die im Privaten, im Beruf und in so vielen Bereichen des Lebens einfach wichtig und wahr ist, beigebracht:

wenn man Altes loslässt und das Leben fließen lässt, hat man zwei Hände frei für mehr Möglichkeiten und Chancen, die dann vorbeischwimmen!

Karl Michael Schölz

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